Karolína Šulcová (1997) lebt und arbeitet in Prag, wo sie kürzlich ihren Abschluss an der Akademie der Bildenden Künste machte.
Die grundlegende Morphologie in Karolína Šulcovás Werk ist die Zeit, die für sie zu einem greifbaren Werkzeug wird, ebenso wie Farbe und Leinwand. Die Künstlerin betrachtet Zeit als etwas Leichtes, Zartes, Allmähliches. Die Rhythmen des Chaos verlangsamen und beruhigen sich. Durch ihre Malerei entfaltet sie die Welt, abstrahiert von Archipel, kosmischem Chaos, Vielfalt und ihrem eigenen Zeugnis. Ob sie sich wie in früheren Positionen ihrer Arbeit der Wanderung durch Landschaften zuwendet, oder sich, so wie nun, dem Bereich der artikulierten Architektur, dem Heim, widmet, sind dies unterschiedliche Berührungspunkte, die von einem Subjekt formuliert werden – rein und authentisch ihr Eigen, mit der gleichen Handschrift, dem gleichen Blick. Charakteristisch für Karolína Šulcovás Werk ist die sanfte Melancholie, der die Künstlerin nicht erliegt, sondern die sie erkundet, beobachtet und auf der Leinwand fließen lässt. Die einzelnen Facetten, die in ihren Werken berührt werden, sind zahlreich, und in jedem Moment der Berührung entfalten sich die Schichten vor den Augen des Betrachters; der Rechen wird zu einem Baum, eine Frau von der Bewegung des Grases absorbiert, die Federn spiegeln sich in den Wolken wider. Transgenerationale Erinnerung trifft auf den gegenwärtigen Moment. Die inneren und äußeren Welten sind nur verschiedene Aspekte des Gleichen. Dieses Gefühl wird nicht in einem halsbrecherischen Tempo geschaffen – die Bilder öffnen sich langsam, melodisch. Die Zeit in den Werken der Künstlerin fließt anmutig und bietet dem Wahrnehmenden selbst eine Entschleunigung.
Das sensorische Erleben des Körpers ist ein weiteres Element, das die Autorin bewusst behandelt. Die Künstlerin lässt den Betrachter nicht alleine umherirren – der Weg, die Werke zu lesen, wird in vielen Beispielen durch einen Rahmen vermittelt, der die Aufmerksamkeit lenkt. Diese Umrahmung wird absichtlich oft außerhalb des Bereichs der Malerei vorgenommen.
Der Blick des Wahrnehmenden wird durch die Objets Trouvés, Kästen, Kisten, Regale, Objekte geführt, die, ihrer ursprünglichen Essenz, die durch Funktion definiert ist, entkleidet, nun eine neue Bedeutung annehmen. Karolína weist so auf die Komplexität des Kosmos im Raum als solchem hin, da ihr Werk physische Orte durchdringt und sich durch das Werfen von Schatten, das Aufspalten von Licht behauptet. Der Blick sowie der Körper des Betrachters werden gelenkt. Die Werke von Karolína Šulcová zeigen nicht, sondern lehren zu sehen und überschreiten so die Grenzen der Realität.
Das dritte und absolut wesentliche Element, das die Werke der Künstlerin kennzeichnet, ist die Formulierung. Die Aufgabe des Wahrnehmenden besteht keineswegs darin, ein greifbares Rätsel zu formulieren, um es zu enthüllen, da das Enthüllen seine unvermeidliche Auslöschung bedeuten würde. Affekt spielt hier eine entscheidende Rolle. Der Dialog mit den Kunstwerken von Karolína Šulcová lädt zur Phrónêsis ein, verkörpert in Wachsamkeit. Nur in einem solchen Zustand ist der Betrachter in der Lage, das Werk von seiner Seite zu öffnen, seinen eigenen subjektiven Berührungspunkt zu schaffen und eine weitere Facette einzubringen. Das Werk, der Beobachter und der Kosmos werden unvermeidlich transformiert. Es ist notwendig, sich dieser rätselhaften Natur der Werke der Künstlerin zu beugen – nicht die Tür weit zu öffnen, nicht einen Satz mit einem Punkt zu beenden, einfach wahrzunehmen, zu beobachten, zu zersetzen und zu
(Text © Nataša Hand)
https://www.instagram.com/karolina_sulc/
(Foto © die Künstlerin)