Die Perlenkette der Eliten: Honoré Daumiers "Parlament der Juli-Monarchie" im Dialog mit Tom Biber

28.01.24 – 17.03.24

[Ausstellungsebene EG]

Mit Honoré Daumier und Tom Biber treffen zum Auftakt des Jahres 2024 in der Kebbel Villa französischer Sarkasmus des 19. Jahrhunderts in Bronze und zeitaktuelle, satirische Auseinandersetzungen mit dem Tagesgeschehen im 21. Jahrhundert auf Papier aufeinander.

Ein eigens für die Ausstellung geschaffenes Display verwandelt den Ausstellungsraum im Erdgeschoss in einen „Plenarsaal.“ Die Parlamentarier der französischen Juli-Monarchie der 1830er-Jahre – von Daumier bildhauerisch interpretiert und in Form von Bronzebüsten präsentiert – stellen sich dort schweigend den Blicken der Besucher:innen. Kommentare zur Jetztzeit liefern die sie umgebenden Aquarelle Tom Bibers: bissige, bittere, aber auch humorvolle Text-Bild-Kombinationen zeigen die Abgründe, die sich vor dem Individuum im kapitalgesteuerten Alltag des 21. Jahrhundert auftun.

Seine Serie der Célébrités du Juste milieu, also „politischen Berühmtheiten“, begann Daumier 1832. Die 36 Dargestellten sind sämtlich bekannte französische Politiker und Beamte – bis auf eine Ausnahme: Die Büste von Daumiers Freund Charles Philipon, dem Herausgeber der Zeitschrift Le Charivari, sticht aus dem Milieu zwar deutlich heraus und fungiert als Gegenpol zu den Staatsbediensteten, sie fügt sich optisch aber dennoch konsequent in die Gruppe ein.

Einer Legende nach formte Daumier seine „Parlamentarier“ in der Abgeordnetenkammer mit mitgebrachtem Ton. Wahrscheinlicher aber ist es, dass er nach seinen Eindrücken aus dem Gedächtnis im Atelier arbeitete. Die ursprünglichen Büsten sind aus ungebranntem Ton und farbig gefasst. Einst standen sie im Verlag der Zeitschrift Le Charivari, wo sie auf Wunsch Daumiers auch von anderen Pressezeichnern als Referenzen genutzt werden sollten. Heute befinden sich die Originale im Musée d‘Orsay in Paris. Es sind weltweit aber nur eine Handvoll kompletter, wohl Ende der 1920er-Jahre entstandenen Sätze in Bronze bekannt, die meisten davon befinden sich in amerikanischen Museen, etwa der National Gallery in Washington. Der in der Ausstellung gezeigte Satz aus der Kunstsammlung der Akademie der Künste, Berlin, ist der einzige komplette in Deutschland. Zuletzt wurde er vor elf Jahren in der Stiftung Brandenburger Tor in Berlin gezeigt.

Dass sich Daumiers Beschäftigung mit der Serie der Parlamentarier über Jahre hinzog, hing unter anderem damit zusammen, dass er für seine Darstellung des Königs als Gargantua (1831), die von der Zensur verboten und konfisziert wurde, zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde, die er zwischen September 1832 und Februar 1833 absitzen musste – teilweise allerdings unter wohl recht komfortablen Bedingungen im Hausarrest.

Dieses Thema könnte sich in leicht abgeänderter Form durchaus auch auf einer Zeichnung von Tom Biber wiederfinden. Der Künstler mit bayerischen Wurzeln lenkt unseren Blick in seinen Arbeiten auf Politiker und Menschen des öffentlichen Lebens, die aus eigennützigen, mitunter unlauteren Motiven handeln. Auch die Katastrophe des Nationalsozialismus – und, damit verbunden, eine Mahnung vor dem Erstarken einer „neuen Rechten“ – ist ein zentrales Thema bei Biber. Schonungslos und pointiert, gewürzt mit einer Prise Paranoia und viel Humor analysiert er seine Mitbürgerinnen und Mitbürger. Täglich zeichnet er Momentaufnahmen einer fragilen Welt, die bereits aus den Fugen geraten und dem Untergang geweiht ist.


Honoré Daumier
(1808 Marseille, FR – 1879 Valmondois, FR) ist vor allem für seine sozialkritischen Karikaturen für die satirischen Zeitschriften Le Caricature und Le Charivari bekannt. Sein umfangreiches Werk umfasst auch Malerei und Bildhauerei. Nach Tätigkeiten als Laufbursche bei einem Gerichtsdiener und Gehilfe bei einem Buchhändler tritt Daumier eine Lehre als Lithograf an. Er besucht außerdem die freie „Académie Suisse“ und übt dort das Zeichnen an lebenden Modellen. Über 40 Jahre hinweg fertigt er allwöchentlich zwei bis drei Lithografien. Sein Bildererbe umfasst 4.000 Lithografien, 200 Gemälde, 800 Zeichnungen und etwa 1.000 gezeichnete Vorlagen für Holzstiche. An bildhauerischen Werken fertige Daumier lediglich ca. 120 Stück.


Tom Biber (1966 Ingolstadt, DE, lebt in Berlin, DE) ist Künstler, Kurator und Kunstsammler. Aufgewachsen in einem Ingolstädter „Glasscherbenviertel“, war er in den 1980er-Jahren in München im IT-Bereich tätig. Er hat einen der ersten elektronischen TV-Guides sowie eine der ersten Chat-Gruppen mitentwickelt. Nach seinem Ausstieg aus der IT-Branche zog er nach Berlin und organisierte zehn Jahre lang Charity-Auktionen für die SOS-Kinderdörfer. Seit er sich auch dort zurückgezogen hat, widmet er sich ausschließlich seiner künstlerischen Praxis. Neben Honoré Daumier zählen insbesondere William Blake und Günter Brus zu seinen Vorbildern.


Die Ausstellung ist eine Kooperation mit der Akademie der Künste, Berlin.


Begleitprogramm:

So, 10.3.2024, 14:45 Uhr: Ausstellungsführung

So, 17.3.2024, 14:45 Uhr: Lesung und Gespräch Tom Biber

Publikation

Tom Bibers „Kapital“, dessen drei Bände auch die in der Ausstellung gezeigten Arbeiten enthalten, kann im Bookshop der Kebbel Villa erworben werden.
25,- EUR pro Band

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