Der tschechische Filmemacher, Objektkünstler, Grafiker und Poet Jan Švankmajer (*1934 in Prag, lebt in Prag und Oberstankau in Südwestböhmen) ist international bekannt für seine seit den 1960er-Jahren in der Stop-Motion-Technik umgesetzten surrealen, trotz ihrer Düsternis mitunter aber humorvollen Kurzfilme. Er studierte in den 1950er-Jahren in Prag, zuerst an der Hochschule für Kunstgewerbe und anschließend dort in der Fachrichtung Marionettentheater der Akademie der Musischen Künste. Seine ersten künstlerischen Arbeiten entstanden in dieser Zeit, bis heute umfasst sein Werk neben mehr als dreißig Filmarbeiten eine Vielzahl an Zeichnungen, Collagen, Druckgrafiken, Objekten, Assemblagen und poetischen Werken. Einige von diesen erregten in den 1970er-Jahren in seiner Heimat, der damaligen, kommunistisch regierten Tschechoslowakei, das Missfallen der politischen Führung, was dazu führte, dass er bis 1980 mit Berufsverbot belegt wurde. Gerade Švankmajers Filme aber sind es, die namhafte Regisseure wie Terry Gilliam von Monty Python oder Tim Burton derart beeindruckten, dass sie in Interviews regelmäßig Jan Švankmajer als wegweisendes Vorbild nennen.
Die umfassende Ausstellung in der Kebbel Villa mit mehr als 50 Werken – Objekten, Druckgraphiken, Assemblagen und Filmen – ist die erste Schau Švankmajers in der Oberpfalz. Ihren thematischen Ausgang nimmt sie im Themenkreis Natur bzw. der künstlerischen Rezeption von Natur durch Jan Švankmajer. Mit Historia Naturae, Suita von 1967 und seiner jüngsten Filmarbeit Kunstkamera von 2022, einer Meditation über Švankmajers Kunstkammer auf seinem Landsitz in Oberstankau (Horní Staňkov), umfasst die Spannweite der versammelten Arbeiten einen Zeitraum von mehr als 50 Jahren.
In dem Kurzfilm Historia Naturae, Suita präsentiert der Künstler in acht Kapiteln, denen jeweils ein Tanz zugeordnet ist, seine eigene Interpretation der Naturgeschichte. Pate stand dabei der Prager Manierismus zur Zeit Rudolf II. (1552-1612) mit seinen Arrangements von allerlei Raritäten und Kuriositäten unterschiedlichster Herkunft in Kunst- und Wunderkammern. Durch die Stop-Motion-Technik setzt Švankmajer die gezeigten Insekten und Tierpräparate in Bewegung, die Musikstücke lassen diese gleichsam tanzen. Am Ende eines jeden Kapitels verzehrt ein Mann ein Stück Rindfleisch. Nur das achte und letzte Kapitel, das den Homo, den Menschen selbst zum Thema hat, präsentiert stattdessen einen Totenschädel. Doch auch er „verleibt“ sich das Fleischstück ein.
Dass Švankmajers Film auf eine allegorische Lesart abzielt, wird bereits im Vorspann klar, wenn eine Widmung an Guiseppe Arcimboldo (1526-1593) eingeblendet wird. Von 1575 bis 1587 war Arcimboldo Hofmaler im Dienste Rudolfs II. und zwischen 1590 und 1591 schuf er ein Porträt des Kaisers im Stile seiner für den Künstler typischen proto-surrealistischen Collagen aus Blumen und Früchten der jeweiligen Jahreszeiten. Benannt ist das Gemälde nach Vertumnus, dem etruskisch-römischen Vegetationsgott der Verwandlungen. Švankmajer hat sich in einer Vielzahl seiner Arbeiten mit dem kombinatorischen Prinzip von Arcimboldos Porträts befasst. Im Ende von Arcimboldo (Herbst) (2002) zeigt sich der unvermeidliche Tod im Angesicht des Lebens, wenn Raupen symbolisch den Zersetzungsprozess des Porträts einleiten.
Švankmajers Vision einer umfassenden Naturgeschichte nach eigenen Vorstellungen führte Anfang der 1970er-Jahre zu einem utopischen Projekt. Der Künstler äußerte sich dazu wie folgt: „Ich wollte eine Enzyklopädie einer alternativen Welt erstellen, Švank-meyers Bilderlexikon. Und so begann ich, eine fiktive Flora und Fauna zu entwerfen und erfand Formen von Technik und Architektur, Ethnographie und Kartographie. Ich besorgte mir alte Lexika, Preislisten, ‚Brehm‘ und geografische Atlanten und begann, sie auszuschneiden und nach meinen Vorstellungen zusammenzukleben. Nach zwei Jahren Arbeit ist dieses Projekt nur ein Fragment geblieben, denn mit der Zeit wurde mir klar, dass es sich um eine Lebensaufgabe handeln würde. Ich erkannte auch, dass die mystifikatorische Enzyklopädie, wenn sie richtig durchgeführt werden sollte, gedruckt werden musste, was in den 1970er Jahren völlig unmöglich schien.“
Švankmajers Werk ist – neben dem Prager Manierismus – stark beeinflusst von einer spezifischen Auffassung von Surrealismus, und zwar nicht als ästhetische, sondern als Lebenspraxis. Im Mittelpunkt steht die Verbindung von Freiheit, Liebe und Poesie. Es sind insbesondere die Aktivitäten der Tschechischen Surrealistengruppe um den Literaturtheoretiker Vratislav Effenberger, die eng mit Švankmajers künstlerischer Arbeitsweise und seinem Werk verknüpft sind. Doch auch der Surrealismus französischer Prägung ist bei Švankmajer präsent: Er zeigt sich in dessen mediumistischen Zeichnungen– wobei der Auslöser für die Auseinandersetzung mit dieser „automatischen“ Technik, bei der dem Geist während des Zeichenprozesses „freier Lauf“ gelassen wird, allerdings der Besuch einer Art Brut-Ausstellung 1998 in der Galerie der Stadt Prag war. Seine Frau Eva, die Švankmajer während seines Studiums kennenlernte, hatte sich bereits ein paar Jahre vor ihm mit der Anfertigung mediumistischer Zeichnungen beschäftigt. Ebenso nennt der Künstler den Traum, das Erotische und die Kindheit als zentrale Inspirationsquellen.
Die Ausstellung wird gefördert durch den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds.
Besonders bedanken möchten wir uns bei ATHANOR