In ihrer ersten Einzelausstellung in Bayern zeigt die in Berlin lebende Bildhauerin Madeleine Boschan eine eigens für den Ausstellungsraum geschaffene, interagierende Zusammenführung aus drei ihrer elementaren Werkgruppen.
Boschans minimal-geometrisch, architektonisch anmutende Plastiken begründen sich in der Beziehung von Körper zu Raum und sind gleichsam imaginärer als auch realer Ort sozialer Begegnungen und Interaktionen. Die Bildhauerin beschäftigt sich seit nunmehr einem Jahrzehnt mit dem architektonischen Prinzip der Passage sowie dem transitorischen Verhältnis von Innen und Außen.
Kongruent zum Ausstellungstitel trägt auch die diesjährig entstandene Plastik „Claiming space, without ever taking space away from space“ („Raum brauchen, ohne Raum von jenem Raum zu nehmen“) diesen Titel – eine aus Rainer-Maria Rilkes Gedicht „Die Rosenschale“ (1907) entnommene Zeile, die nicht nur Rilkes neue Sichtweise auf die Dinge versinnbildlicht, welche er durch seine Erfahrungen bei Rodin erlangte, sondern dem „plastischen Ding“ eine besondere Bedeutung verleiht und es aus konventionellen Raum- und Zeitbezügen löst. Im Zusammenhang mit Boschans Arbeit könnte dieses präzise Anschauen, des mit allen Sinnen wahrgenommenen Dinges, als Ausgangspunkt für einen weit offenen Innenraum der Imagination gelesen werden, und den Blick auf ihre Arbeiten erweitern und aktivieren. Denn in dieser speziell für die Ausstellung entwickelten Arbeit stellen sich regelrechte Entscheidungen im Raum: Leere wird umspannt. In lichtem Türkis gehalten, ruht die Plastik auf drei Punkten, wodurch sie sich direkt auf dem Boden entfaltet und dabei einen schwebenden Charakter erhält. Der offene, aus einem elementaren Kubus entwickelte Körper gibt den Blick frei und rahmt den umliegenden Raum ein. Beim Umschreiten des Werkes eröffnen sich stets neue Perspektiven und Durchblicke. Die Arbeit kann so als semipermeable Membran zwischen Raum, Ding und Betrachter:in wahrgenommen werden, wobei Vorder- und Hintergrund sowie Zwischenräume zu verschmelzen scheinen.
Ein einzelner Punkt, der für Balance sorgt, findet sich – neben den harten Kanten als Stabilisatoren – in Boschans Skulpturengruppe „T622“ und „T222“ (beide 2022). Mit ihrer farblichen Fassung in Schwefelgelb im Inneren und dem weißen Äußeren oszillieren diese Werke nicht nur zwischen Raumeinnahme und Raumüberspannung, sondern changieren auch zwischen stehenden und schwebenden Zuständen. Sie evozieren quasi kristalline und amorphe Aggregatzustände. Das flirrende Schwefelgelb breitet sich – im Gegensatz zum kompakten, in sich geschlossenen Weiß der Außenflächen – nicht nur in den unmittelbaren Umraum aus, sondern auch auf den Boden. Die gelblichen Reflexionen dort sind sichtbare Zeugnisse dieser Ausdehnung.
Literarischen Ursprungs sind ferner die vier Elemente von Boschans Skulptuturenensemble „Somewhere I have never travelled, gladly beyond any experience II (Parataxe)“ (2024). Hochaufragend korrespondieren diese als gleichwertige Teile eines Ganzen im Ausstellungsraum. Die auch hier wiederauftauchenden Leerräume zwischen ihnen, fungieren als geschmeidige, koordinierende Konjunktion. Ähnlich wie bei Boschans gelben Bodenarbeiten nivelliert das Rosé dieser Werke den Übergang von Fläche und Raum und lässt Raum und Umraum diffus erscheinen. Sowohl die Markierung räumlicher Grenzen als auch deren konsequente Auflösung werden betont. Neben der Verhandlung von Raumfragen spielt Madeleine Boschan auch mit unterschiedlichen Modi der Wahrnehmung von Raum, bei denen das starre Korsett des Naturwissenschaftlichen durch ein Wechselspiel von Nah und Fern, von Konkaven und Konvexen, den Bezug zu den Dingen im Raum-Zeit Kontext durchbricht.
Madeleine Boschan (*1979, lebt und arbeitet in Berlin) hat an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig und an der École Supérieure d’Art et Design du Havre studiert. Ihre Werke wurden in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen national und international präsentiert, u.a. im Kunstmuseum Wolfsburg, im Mercedes-Benz Museum, Stuttgart, in der Kunsthalle Erfurt, in der Neue Galerie Gladbeck, in der Galerie Bernd Kugler, Innsbruck, im Stedelijk Museum, Ypres, im Weserburg – Museum für Moderne Kunst, Bremen, und im Kunstverein Friedrichshafen. Sie wird vertreten durch die Galerie Bernd Kugler, Innsbruck und die Hezi Cohen Gallery, Tel Aviv.