Die permanente Veränderung als künstlerisches Prinzip kennzeichnet das Werk der 1938 in Timișoara (dt. Temeswar), Rumänien, geborenen und seit langem in Pentling bei Regensburg lebenden Künstlerin Johanna Obermüller. Figuration oder Farbflächenmalerei, plastische Modellierungen oder modulare Steckobjekte, händischer Farbauftrag oder Strichführung im Digitalen – seit mehr als sechzig Jahren setzt sich Obermüller ohne Scheu mit unterschiedlichen Techniken, Materialien und inhaltlichen Fragestellungen auseinander.
In der umfangreichen Retrospektive in der Kebbel Villa präsentiert Johanna Obermüller eine Auswahl an Arbeiten aus unterschiedlichen Schaffensphasen der letzten 35 Jahre. Dazu zählen etwa ihre in den 1980er-Jahren entstandenen „Scheibenobjekte“: großformatige, modulare Formationen, die für die Künstlerin transportabel und tragbar, d.h. deren Teile ins Auto passen und eigenhändig aufstellbar sein mussten. Von 2005 bis 2007, während und im Nachgang eines Aufenthalts in Odessa in der Ukraine, widmet sich die Künstlerin dann mit Feinsprühpigmentfarbe auf dünnen Papieren aus Ostasien dem menschlichen Körper, seinen Proportionen und Gliedmaßen.
Dünnes Kozopapier aus Korea bildet auch das Trägermedium für Obermüllers „Pseudo-Kalligraphien“ (2007/2008), die, wie deren Bezeichnung bereits andeutet, nicht wirklich mit der Kunst des schönen Schreibens von Hand zu tun haben. Vielmehr stehen formale Aspekte und technische Fragestellungen im Vordergrund. In den Malereien der letzten zehn Jahre – sowohl mit Acrylfarbe auf Leinwand als auch digital am PC entstanden – dominiert wieder die Figur des Menschen. In den Acrylmalereien steht das Verhältnis westlicher und östlicher Kulturen, insbesondere der jeweilige Status der Frau, im Mittelpunkt. Dagegen liegt der Fokus in den digitalen Arbeiten auf der Beziehung zwischen Mensch und Tier. Obermüller geht es in beiden Serien nicht um die naturalistische Wiedergabe von Körpern und Lebewesen, vielmehr steht das Spannungsverhältnis von Figuration und Abstraktion, von Kontur und Fläche im Vordergrund.
Die Be- und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit während der aktuellen Corona-Pandemie behandeln eine Reihe von jüngst entstandenen Kleinplastiken, deren Kern Kartonquader sind: aus diesen scheinen sich manchmal einzelne Figuren befreien oder durch „Flugversuche“ lösen zu wollen. Der Drang nach (Bewegungs-)Freiheit sowie dessen unmögliche Erfüllung während der zahlreichen Lockdowns wird so metaphorisch reflektiert.
Johanna Obermüller (1938 Timișoara, RO, lebt in Pentling bei Regensburg, DE) absolvierte von 1958 bis 1963 ein Studium an der Akademie der Bildenden Künste in München. Zugleich studierte sie Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Von 1964 bis 1980 war sie als Kunsterziehern tätig, seitdem arbeitet sie als freischaffende Künstlerin. 1976 erhielt sie den Kulturförderpreis der Stadt Regensburg, 1980 den Förderpreis zum Lovis-Corinth-Preis der Künstlergilde Esslingen. Sie stellte in zahlreichen Institutionen und Ausstellungsräumen im In- und Ausland aus, u.a. im Museum Ostdeutsche Galerie Regensburg (1980), in der Zone of Contemporary Fine Art in Ashville, US (1993) und in der Botschaft der Republik Korea in Berlin (2001). Im Oberpfälzer Künstlerhaus in Schwandorf war bereits 1995 ihre Einzelausstellung „Teil und Gegenteil“ zu sehen.