Wenn die Vögel „singen, musiziern, pfeifen, zwitschern, tiriliern“, will der Frühling „nun einmarschiern“ – so heißt es in den von Hoffmann von Fallersleben (1798-1874) verfassten Textzeilen des bekannten Frühlingslieds Alle Vögel sind schon da. Mit recht ungewöhnlichem Vogelgesang wird der Frühling in diesem Jahr im Skulpturenpark der Kebbel Villa angekündigt. Dort präsentiert der Künstler Stephan Dillemuth (*1954) seine selbstkomponierten Vogelstimmen. In Titeln wie Erdmusik oder Flügelschlag im Glockengestühl stellt er in den unterschiedlichen Kompositionen eine direkte Verbindung von Vogelgezwitscher und der zeitgenössischen Kunstwelt mit ihren zahlreichen Szenen und Gruppierungen her.
Dillemuths künstlerische Praxis umkreist die Frage nach der Rolle von Künstler:innen in der Gesellschaft und deren jeweiliger Position im Kunstsystem. Sein Ansatz ist ein forschender: Er recherchiert, trägt Informationen zusammen und bereitet diese anschließend in unkonventioneller Form auf. Doch es geht Dillemuth in seinen Arbeiten nicht lediglich darum, Möglichkeiten gesellschaftlicher Veränderung durch Kunst aufzuzeigen; gerade Kunst hat für ihn das Potenzial, Veränderungen in der Gesellschaft voranzutreiben.
Die Forschungsmethode, der sich Dillemuth (oftmals in kollektiver Form) bedient, bezeichnet er als „bohemistisch“. Er konzentriert sich insbesondere auf unterschiedliche Konstellationen des Zusammenlebens im Kunstbetrieb, etwa in der Lebensreformbewegung im 19. Jahrhundert oder an den Kunstakademien in den darauffolgenden Jahrhunderten. Von besonderem Interesse ist für den Künstler dabei ein Vergleich zwischen den Rechercheergebnissen und der jeweils aktuellen Situation im Hier und Jetzt.
Die Vogelstimmen, die Dillemuth im Außenraum der Kebbel Villa präsentiert, hat er bereits 1998 aufgenommen und als CD veröffentlicht. Er variiert darin eine Idee der amerikanischen Künstlerin Louise Lawler, die 1972 eine Schallplatte veröffentlicht hat, auf der sie die Namen männlicher Künstler in Form von Vogelstimmen wiedergibt. Bei Dillemuth lassen sich bei genauem Hinhören nicht nur die Namen von Künstlern, sondern auch von Künstlerinnen ausmachen: „Tracy Emin“ und „Sarah Lucas“ etwa tauchen zusammen mit „Jake & Dinos Chapman“, „Peter Doig“ und „Damien Hirst“ auf. Im zeitlichen Abstand von 25 Jahren können die Zuhörer:innen nun über die Veränderungen und Entwicklung der ehemaligen yBa (young British artists) nachdenken.
Stephan Dillemuth (*1954 Büdingen, lebt in Bad Wiessee und in der Toskana), der bis 2020 als Professor an der Akademie der Bildenden Künste München lehrte, studierte an den Kunstakademien in Nürnberg, Düsseldorf und München.1990 bis 1994 betrieb er zusammen mit Josef Strau, Nils Norman, Merlin Carpenter und Kiron Khosla den Raum Friesenwall 120 in Köln. Aus der Zusammenarbeit mit Werner von Delmont resultieren ab 1997 verschiedene Auftritte und die Publikation Corporate Rokoko. Seit 2000 zeigte er Einzelprojekte u.a. im Lenbachhaus, München, bei American Fine Art, New York, in der Secession, Wien und in der Konsthall C, Stockholm.