Die Ausstellung THE (MU-LU)TANTS setzt sich mit der Geschichte der Frauenstreiks in Frankreich zu Beginn des 20. Jahrhunderts auseinander. Im Zentrum stehen insbesondere die Streiks der sogenannten „Transbordeuses d'oranges“ (Orangenumladerinnen) im Jahr 1906 im südfranzösischen Cerbère, die als die ersten rein von Frauen organisierten Arbeitskämpfe in Frankreich in die Geschichte eingingen. Auch die „Sardinières“ (Sardinenarbeiterinnen) aus Douarnenez in der Bretagne traten 1905 und 1924 in den Streik – zwar waren daran hauptsächlich Frauen beteiligt, doch auch einige Männer solidarisierten sich.
Auslöser der Streiks waren die katastrophalen Arbeitsbedingungen: Die Frauen verrichteten körperlich anstrengende Arbeit unter härtesten Bedingungen – bis zu 18 Stunden täglich. In ihren Streiks kämpften sie nicht nur für höhere Löhne, sondern auch für Anerkennung und soziale Gerechtigkeit. Trotz massiver gesellschaftlicher Widerstände gelang es ihnen, sich gegen die patriarchalen Strukturen des frühen Industriezeitalters zu behaupten. Diese historischen Kämpfe markieren einen bedeutenden Moment in der Entwicklung der feministischen Bewegung in Europa.
Der Titel der Ausstellung, MU-LU-TANTS, ist ein kunstvoll geschaffener Neologismus, der zwei Konzepte miteinander verwebt: zum einen die „militante Frau“ – also die kämpferische, widerständige Akteurin –, zum anderen die „Mutantin“ als Symbol einer sich transformierenden Weiblichkeit, die festgefahrene gesellschaftliche Rollenbilder hinterfragt und überwindet. Die Künstlerin Camille Tsvetoukhine greift diese historischen Ereignisse nicht dokumentarisch auf, sondern untersucht aus einer künstlerischen Perspektive, welche langfristigen Spuren sie im kollektiven feministischen Gedächtnis hinterlassen haben und wie sie bis in unsere Gegenwart hineinwirken.
Für die Ausstellung in der Kebbel Villa hat Tsvetoukhine eine fiktive Erzählung rund um einen Unternehmer namens Herr Max– Besitzer einer Fabrik für Krawattenschleifen (Fliegen) – entwickelt, in der sich trotz moderner Fassade die Geschichte der Unterdrückung und des Widerstands der Arbeiterinnen auf symbolische Weise wiederholt. Dieses narrative Setting ermöglicht es der Künstlerin, Geschichte und künstlerische Fiktion miteinander zu verschränken. Die Ausstellung wird so zu einem Raum der Erinnerung, Reflexion und Kritik, in dem die Vergangenheit lebendig wird, um Fragen an die Gegenwart zu stellen. THE (MU-LU)TANTS ist dabei nicht nur eine Hommage an die streikenden Frauen von einst, sondern auch ein Aufruf zur Wachsamkeit gegenüber fortbestehenden Ungleichheiten in der heutigen Arbeitswelt.
Camille Tsvetoukhine (*1987 in Angers, FR, lebt in Paris, FR) studierte von 2005 bis 2010 visuelle Kommunikation an der ENSBA in Angers, Frankreich, und von 2011 bis 2013 zeitgenössische künstlerische Praktiken an der HEAD in Genf, Schweiz. Ihre Arbeiten wurden national und international in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt, u.a. in der Galerie Loevenbruck, Paris, FR (2024), Art au Centre, Liège, BE (2021), Centre d'art Parc St Léger, Nevers, FR (2019), Salon, Madrid, ES (2016), Halle Nord, Genf, CH (2015), Biennale de Belleville, Paris, FR (2014. Sie erhielt mehrere Preise und Stipendien, u.a. für Forschung der ADAGP (2024), das Produktionsstipendien der Fondation des Artistes und DRAC Ile de France (2020) sowie den New Heads - Fondation BNP Paribas Art Award (2013). Weiterhin hatte sie Residencies in der Kebbel Villa, Schwandorf, DE (2023), Bonus, Nantes, FR (2022), Parc st Léger, Pougues les eaux, FR (2019), Les Capucins, Embrun, FR (2017) und Matadero, Madrid, ES (2016).